Tausende Menschen werden im Zusammenhang mit ihrer Antragstellung zur Corona-Soforthilfe II strafrechtlich verfolgt.
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Im März 2020 sollte alles ganz schnell und unbürokratisch gehen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) verspricht Kleinstunternehmern und Solo-Selbstständigen per Pressemitteilung seines Ministeriums vom 27.03.2020, man habe ein ″beispielloses Hilfsprogramm zur Bewältigung der Coronakrise beschlossen.″ Bereits zuvor verkündete Altmaier: „Entscheidend ist, dass wir schnell und unbürokratisch helfen.“
Ein Eckpunktepapier der Bundesregierung vom 23. März 2020 stellt fest: ″Es gibt erheblichen Bedarf für unbürokratische Soforthilfe zugunsten von Kleinstunternehmen aus allen Wirtschaftsbereichen sowie Soloselbständigen und Angehörigen der Freien Berufe.″
Die Bazooka feuert zurück
Finanzminister und jetziger SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz versprach zu Beginn der Corona-Krise: ″Wir wollen mit Wumms aus der Krise kommen″ und wählte dafür das Bild einer Bazooka – einer Kriegswaffe zur Vernichtung von Panzern. Für Tausende Kleinstunternehmer und Solo-Selbständige könnte sich diese Bazooka jetzt als Bumerang oder gar als Sprengfalle zur Vernichtung ihrer Existenz erweisen.
Seit August 2020 stellt sich heraus, wie „beispiellos und unbürokratisch“ das Corona-Soforthilfeprogramm II tatsächlich war. Es scheint sich nämlich als beispielloses Konjunkturpaket für die Justiz zu entpuppen: Das LKA Berlin bestätigt am 19.04.2021 allein im Land Berlin über 10.000(!) eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen Personen, die Corona-Soforthilfe II beantragt haben.
Der Bund der Steuerzahler weist schon im Juni 2020 auf die enorme Verwirrung bei der Antragstellung hin. Insbesondere bei der Frage, wofür die Gelder aus der Corona-Soforthilfe II überhaupt verwendet werden darf, gab es bei den Antragstellern enorme Unsicherheiten.
Bedingungen für Corona-Soforthilfe nachträglich geändert
Für Selbstständige in Nordrhein-Westfalen heißt es beispielsweise bis zum 01. April 2020 auf der Webseite ihres Wirtschaftsministeriums noch, die Soforthilfe diene ″auch dazu, das eigene Gehalt und somit den Lebensunterhalt zu finanzieren.″ Später wurde diese Passage von der Webseite des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministeriums kommentarlos gelöscht. In NRW war eine Antragstellung jedoch schon seit dem 27. März 2020 möglich. Eine Aussage dazu, was nun gilt, gibt es vom nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium nicht, es antwortet auf Nachfrage verschiedener Medien schlichtweg nicht.
Ähnlich ging es Berliner Antragstellern. Dort war für Anträge bis einschließlich 01. April 2020 die Verwendung der Zuschüsse aus Landesmitteln explizit auch für die Gehälter der Beschäftigten und entgangene Unternehmereinkünfte erlaubt. Erst Wochen später, nachdem zum 06. April 2020 das Landesprogramm in das Zuschussprogramm des Bundes überführt wurde, tauchten überhaupt erstmals Informationen zur Verwendung der Zuschüsse auf den Seiten der IBB auf. In der hier vorliegenden Fassung mit Stand vom 08.07.2020 heißt es gleichlautend mit der Online-FAQ, eine Verwendung des Zuschusses für Unternehmerlöhne oder für die sonstige private Lebensführung sei nicht zulässig. Nur in einem Nebensatz wird erwähnt, dass vom vorherigen Landeszuschuss(!) neben den laufenden betrieblichen Sach- und Finanzaufwendungen Personalkosten, Kosten der privaten Lebensführung und Krankenversicherungskosten eben doch bezahlt werden können.
Empfänger zahlen Förderungen zurück und werden dafür bestraft
Kein Wunder, dass angesichts dieser Verunsicherung viele Solo-Selbstständige und Kleinstunternehmer das erhaltene Geld lieber so schnell wie möglich zurückzahlten. Doch genau das wird ihnen jetzt zum Vorwurf gemacht. Die Berliner Polizei begründet ihre Ermittlungen damit, dass aufgrund der kurzen Zeitspanne zwischen Beantragung und Rückzahlung ″davon ausgegangen wird, dass keine wirtschaftliche Notlage bei den Antragstellern bestand.″
Andere staatsanwaltlich verfolgte Antragsteller berichten, dass nach dem Ausfüllen des Online-Antrags sich das Browserfenster einfach schloss. Die Lebenserfahrung belegt, dass somit von einer technischen Panne auszugehen war mit der Folge, dass der ausgefüllte Antrag nicht übermittelt wurde. Einige Antragsteller haben sich daraufhin erneut in die Warteschlange eingereiht und ein oder zwei Tage später, als sie wieder an der Reihe waren, den Antrag erneut gestellt, zumal sie bis dahin keine Eingangsbestätigung der IBB erhalten hatten. Selbst bei expliziten Hinweisen an die IBB und Rückzahlung wird ihnen nun ein „Computerbetrug“ zur Last gelegt.
Erst wahllos auszahlen – und per Strafverfahren doppelt und dreifach zurückholen
„Wir gehen davon aus, dass Berlin eine hohe Summe der Mittel an den Bund zurückzahlen muss“ , heißt es von einer Landesbank-Sprecherin im Juni 2020 gegenüber dem rbb. Angesichts der schieren Anzahl der Strafverfahren liegt die Vermutung nahe, dass das wirtschaftlich stets klamme Land Berlin angesichts der eigenen Unzulänglichkeiten erhöhten Belastungseifer freisetzt, um Antragsteller mit besonderer Kreativität zu kriminalisieren und sich auf diese Weise soviel Coronahilfen wie möglich von den Antragstellern zurückzuholen.
Nach Berichten von Betroffenen gingen und gehen die Ermittlungsbehörden dabei mit unverhältnismäßig harten und teils abstrusen Maßnahmen gegen Antragsteller vor: Betroffenen werden die Konten zum Teil wochenlang komplett gesperrt, Hausdurchsuchungen werden morgens um 6 Uhr durchgeführt, dringend benötigte Computer und Unterlagen werden beschlagnahmt.
Bevor er im März 2020 seine „Bazooka“ rausgeholt hat, ermöglichte Finanzminister Olaf Scholz den Hausbanken der Antragsteller, wohlweislichauch völlig unbegründete Vorwürfe bezüglich ihrer Kunden an die Ermittlungsbehörden zu melden. Nebenbei eröffnet dieser Zug den Banken eine weitere Möglichkeit, sich auf elegante Weise von wirtschaftlich uninteressanten Kunden zu trennen.
Ermittlungen gegen Vorstände der IBB
Im August 2020 hat die Staatsanwaltschaft Berlin Ermittlungsverfahren gegen Vorstände und Mitarbeiter der Investitionsbank Berlin wegen des Vorwurfs der Untreue und Beihilfe zur Untreue aufgenommen. Laut der Staatsanwaltschaft habe sich aus den Tausenden Ermittlungsverfahren gegen Empfänger der Corona-Hilfen außerdem die Erkenntnis ergeben, dass bei der IBB keine ausreichenden Kontrollmechanismen aufgebaut worden seien.
Der Verband der Gründer und Selbstständigen VGSD hat das Thema der Kriminalisierung von Antragstellern von Corona-Soforthilfe II aufgegriffen und betreut das Thema fortlaufend.
Zahlreiche Medien berichteten daraufhin über die Vorgänge:
- Focus – Weil sie Coronahilfen schnell zurückzahlten – Ermittler machen Jagd auf Selbstständige
- TIP Berlin: LKA ermittelt gegen Autor nach Rückzahlung
- taz – Statt Geld kommt eine Anzeige
- BR – Künstler wegen Subventionsbetrug angezeigt
- Nordbayern – Corona-Hilfspakete: Künstler im Visier der Ermittlungsbehörden
- touristik aktuell: Ermittlungen gegen Reisebüros
- tagesspiegel: Seltsame Wege der Justiz
- Gründerlexikon – Corona Subventionsbetrug: Polizeiliche Vorladung, Hausdurchsuchung, Strafbefehl und Kontensperrung
Wir möchten versuchen, in Zusammenarbeit mit dem VGSD möglichst viele Fälle zu bündeln und bei der Politik vorzutragen, um den entstandenen Schaden für die Betroffenen zu mildern und im Idealfall eine Amnestie für die Betroffenen zu erwirken.
Personen, die von polizeilichen oder staatanwaltlichen Maßnahmen betroffen sind, können sich über unser Kontaktformular melden.